Am 07.04.2018 um 11:30 Uhr standen wir in luftiger Höhe auf 2.680 Metern und strahlten uns an wie kleine Kinder, die gerade zu Weihnachten beschert worden waren. Dann reckten wir die Arme in den Himmel und umrundeten anschließend den Grenzstein, wobei wir uns einmal auf der indischen Seite und dann wieder auf der burmesischen Seite befanden – alles ganz unbürokratisch ohne Zoll- und Einwanderungsbehörden.
Wir hatten es geschafft! Dabei hatten wir bis zur Woche davor noch nie etwas von diesem Berg gehört; den Namen fanden wir erst nach tagelangen Recherchen nach unserer Rückkehr in Yangon heraus.
Meine Gedanken schweifen zurück zu dem Tag, an dem alles begann: Ich schwitzte im Fitnessstudio, als mich wie aus dem Nichts der Gedanke traf, dass ich doch noch einen zweiten Versuch unternehmen musste, um den Mt. Saramati, mit seinen 3.841 Metern der höchste Berg in Nagaland, zu besteigen. Der erste Versuch im April 2017 war kläglich gescheitert, da ich nicht fit war und das Gelände total unterschätzt hatte. Ich trainierte wochenlang und bat Jack, meinen Schweizer Freund, mich auf dieser Tour zu begleiten. Zwei Tage vor Reisebeginn erhielten wir dann die niederschmetternde Botschaft, dass wir den Mt. Saramati nicht besteigen könnten. Der wahre Grund dafür ist mir bis heute nicht bekannt.
Doch Jack war nun einmal da, extra aus der Schweiz angereist, der Rucksack war gepackt und die Tickets nach Hkamti steckten in der Tasche. Ma San Su Shi aus Layhsi versprach uns daraufhin, dass wir mit dem „kleinen Mt. Saramati“ einen Berg besteigen dürften, auf den vor uns noch kein anderer Tourist seinen Fuß gesetzt hatte.
So standen wir dann am 31. März am Flughafen und warteten auf unseren Bus, der uns zum Flugzeug bringen sollte, als auf einmal meine Frau und unsere zwei Töchter die Treppe herunterkamen, auf mich zu stürzten und laut „Überraschung, Überraschung!“ riefen. Ich umarmte meine Familie mit Tränen in den Augen und konnte es nicht fassen.
Schon kurz darauf saßen wir alle im Flieger und waren auf dem Weg nach Hkamti, einer kleinen Stadt am Ostufer des Chindwin-Flusses. Dort erkundeten wir zu Fuß den Ort und hatten vom Ufer des Chindwin-Flusses einen fantastischen Blick auf die Naga-Berge.
5 Tage später befanden wir uns am Fuß der Gebirgskette, die Indien von Myanmar trennt, und folgten einem Fußpfad durch hüfthohes Gras. Von den Bergen drang das Gebrüll einer großen Affengruppe zu uns – freuten sie sich über unseren Besuch oder lachten sie uns aus? Dann verschlang uns der Urwald.
Der Pfad führte zuerst bergauf, über den ersten Hügel hinweg und dann steil bergab zu einem Bach, der sich hier durch das Gebirge schlängelt. Kristallklares Wasser, riesige Bäume und leuchtendes Grün in allen Schattierungen. Was für ein paradiesischer Ort! Auf der anderen Seite ging es dann wieder steil bergauf, fast senkrecht, und die Träger mussten immer wieder innehalten, um sich mit dem Buschmesser einen Weg zu bahnen. Auf einer Höhe von 1.350 Metern schlugen wir unser erstes Camp auf.
Unser Team war eine Stunde lang damit beschäftigt, das Camp einzurichten, das Abendessen zuzubereiten und Schlafplätze für die Nacht zu schaffen. Dazu wurde Farn in dicken Schichten auf dem Boden ausgelegt, was mich sehr an die Gorillanester in Uganda erinnerte. Wir schliefen ausgezeichnet.
Mit dem ersten Tageslicht schälten wir uns aus den Schlafsäcken und gegen 08:00 Uhr setzten wir unseren Aufstieg fort. Zuerst mussten wir uns an langen Lianen hochziehen, um einen steilen und schwierigen Abschnitt zu überwinden, dann folgten wir einem Bergrücken durch dichten Kiefernwald und weiter bergauf durch dichtes Gestrüpp, vorbei an Rhododendren und Orchideen. Es ging immer weiter bergauf, oft sehr steil, doch es war immer eine helfende Hand zur Stelle. Nach 4 Stunden erreichten wir einen märchenhaften Rhododendron-Wald – überall rote und weiße Blüten und dazwischen schimmerte das Moos in allen Farben. Gegen 13:00 Uhr erreichten wir dann unser Basislager auf 2.150 Metern.
Am nächsten Tag waren wir schon um 07:15 Uhr wieder unterwegs. Es ging weiter bergauf durch einen Mischwald mit Bambus, Laubbäumen und Rhododendren. Nach einer halben Stunde wanderten wir über einen sehr schmalen Pfad am Abhang entlang – so schmal, dass ich oft gar nicht wusste, wohin ich meinen Fuß setzen sollte. Vom letzten Gebirgskamm hatten wir dann einen fantastischen Ausblick auf die Nage-Berge und den kleinen Mt. Saramati. Von hier führte der Pfad wieder durch einen wunderschönen Rhododendron-Wald, in dem es überall Rot und Weiß schimmerte. Zuerst ging es bergab, dann wieder steil bergauf durch einen Bambuswald, an einem herrlich gelegenen Rastplatz vorbei und raus aus dem Wald – wir befanden uns nun oberhalb der Baumgrenze. Vor uns breitete sich eine neue Welt aus: gelb leuchtende Gräser, bunte Blumen, knorrige Sträucher … Verzaubert folgten wir dem Pfad, hielten immer wieder inne, schwebten einige Schritte weiter, drehten uns im Kreis und strebten berauscht dem Gipfel entgegen.
Gegen 12:00 Uhr tauchten im Westen bedrohlich dunkle Wolken auf; die ersten Regentropfen fielen und es wurde spürbar kühler. Schlagartig wurden wir in die Realität zurückgeholt. Ein letzter Blick, ein letztes Bild und dann machten wir uns auf den langen Rückweg.
Drei Tage später erreichten wir müde aber überglücklich Sapya. Das ganze Dorf war schon in festlicher Stimmung, wollten wir doch hier am Abend meinen 59. Geburtstag nachfeiern. Shwe Yee hatte das schon auf dem Hinweg organisiert, was für eine tolle Idee. Ein Schwein wurde geschlachtet, der Festplatz geschmückt, das Feuerholz aufgeschichtet und um 18:00 Uhr versammelten sich Jung und Alt. Gespeist wurde an einer großen Tafel. Es gab Reis, viel Schweinefleisch, Suppe und Gemüse. Geschichten über unser Abenteuer machten die Runde, es wurde gesungen, geklatscht und gelacht. Es war ein tolles Fest und die strahlenden Kinderaugen sollten mich noch lange begleiten.