Am ersten Sonntag des Januar 2018 bummelte ich wieder einmal ganz verträumt durch das Stadtzentrum von Yangon und bestaunte einmal mehr die Überreste der Kolonialzeit, als ich an der Ecke Mahabandoola Road/Theinbyu Road ein Schild mit der Aufschrift „Yangon Book Street“ entdeckte. Davon hatte ich noch nie gehört, lernte dann aber schnell, dass die Yangon Book Street in der Winterzeit zwischen November und April jeden Samstag und Sonntag von 09:00 Uhr bis 17:00 Uhr geöffnet ist. Neugierig geworden bog ich hier rechts ab und lief in nördlicher Richtung die Theinbyu Road hinauf, wo sich bis zur Anawratha Road ein Buchstand an den nächsten reihte.
Irgendwann entlang des Weges tat sich zwischen zwei Buchständen eine Lücke auf und ich blickte auf ein großes schmiedeeisernes Tor. Dahinter erhob sich, zwar ein wenig verborgen zwischen Palmen und grünen Sträuchern, aber deutlich zu erkennen, das Minister’s Office (Sekretariat), ein imposantes Gebäude im viktorianischen Stil aus roten und gelben Ziegeln, das sich über mehrere Straßenblocks erstreckt. Aber weder das schmiedeeiserne Tor noch der gewaltige Backsteinbau weckten meine Neugierde, sondern das weiße Schild, das dort deutlich sichtbar am Tor hing und verkündete: „The Secretariat Renovation Tour“.
Über 20 Jahre war mir dieses Gebäude verschlossen geblieben, und nun gab es sogar geführte Touren. Was für eine Gelegenheit! Da am Sonntag aber keine Besichtigungen durchgeführt wurden, schrieb ich mir nur die Nummer auf und meldete mich telefonisch für den nächsten Samstag an.
Sechs Tage später stand ich wieder an der gleichen Stelle und pünktlich auf die Minute öffnete sich das Tor für unsere kleine 6-köpfige Gruppe. Vom Eingangstor gingen wir über einen gut asphaltierten Weg, der zu beiden Seiten von schlanken, hoch aufragenden Palmen flankiert wurde, durch den Park und direkt auf den Ostflügel zu. Von dort gelangten wir durch eine Durchgangspassage auf den quadratischen Innenhof des Sekretariatskomplexes. Welch geschichtsträchtiger Ort!
Nach der Fertigstellung des Sekretariats im Jahr 1905 wurde von hier aus die gesamte Kolonie effektiv geführt. Und auch jeder kritische Schritt in Richtung der Unabhängigkeit des Landes von der britischen Herrschaft wurde innerhalb dieses Komplexes festgehalten: Die Errichtung der Biarchie im Jahr 1923, die Wahlen zum Burma Legislative Council über die Trennung von Indien im Jahr 1932 und die Entwicklung des Government of Burma Act 1935, der durch die Trennung Burmas von Indien im Jahr 1937 in Kraft gesetzt wurde und Dr. Ba Maw zum ersten burmesischen Premierminister werden ließ.
Das bedeutendste Einzelereignis im Sekretariatsgebäude geschah am Morgen des 18. Juli 1947, nur ein halbes Jahr vor der Unabhängigkeit Myanmars von Großbritannien. An diesem Tag wurden der charismatische Führer des Landes und Gründer der burmesischen Armee, General Aung San, und sechs seiner Ministerkollegen bei einer Sitzung des Exekutivrates in der südwestlichen Ecke des Gebäudes ermordet. Es war ein Ereignis, das einen großen Einfluss auf den Lauf der burmesischen Geschichte nehmen sollte.
Und hier wurde im Januar 1948 um 04:20 Uhr zum letzten Mal die britische Fahne eingeholt und zur burmesischen Nationalhymne Kaba Ma Kyei („Bis an das Ende der Welt“) die Fahne der Union von Burma gehisst.
Danach wurde die Verwaltung des Landes nach und nach in andere Gebäude verlagert und das Sekretariat stand nach dem Umzug der Regierung im Jahr 2005 in die neue Hauptstadt Naypyidaw lange Zeit leer.
Auf der uns gegenüberliegenden Seite befand sich der Westflügel, der parallel zum Ostflügel in nur 3 Jahren zwischen 1903 und 1905 fertiggestellt wurde. Wir hielten uns rechts, gingen auf den Fahnenmast zu und blieben dann vor den Gedenktafeln stehen, die an die Opfer des Attentats von 1947 erinnern. Danach setzten wir unseren Weg zum Südflügel fort, dem ältesten Teil des Minister’s Office.
Der Bau des Südflügels begann 1889 und war mit großen Schwierigkeiten verbunden. Die Bauarbeiten wurden durch feuchten Boden in der westlichen Ecke des Grundstücks, wo sich einst ein Wassertank befand, und zusätzlich durch eine besonders sintflutartige Monsunzeit erschwert. Das Wasser musste kontinuierlich aus der Baustelle gepumpt werden. Um den Boden zu stabilisieren, mussten Baumstämme aus pyinkado (ein extrem hartes Holz, das hier in Myanmar wächst) mit einer Länge von 4–6 Metern in den Boden getrieben und mit einem Gitter aus Eisenschienen überzogen werden. Die Südachse des Gebäudes wurde 1893 fertiggestellt und bis heute halten sich die Gerüchte, dass der ganze Südflügel irgendwann im darunter liegenden Sumpf versinken wird.
Schon aus einiger Entfernung war deutlich zu erkennen, dass die westliche Ecke deutlich tiefer lag und in den Jahrzehnten nach dem Bau um einen halben Meter abgesunken war. Auch wenn durchgeführte Bodenuntersuchungen gezeigt hatten, dass sich der Boden seitdem stabilisiert hatte, war dies doch ein beunruhigender Anblick.
Wir betraten den Südflügel und gingen den langen Korridor entlang zum Sitzungssaal, wo sich das allererste Parlament Myanmars nach der Unabhängigkeit getroffen hatte. Dann kamen wir zum Haupteingang des Südflügels, wo sich eine einläufige Gusseisen-Treppe, um ein 12-seitiges imposantes Treppenauge in den Himmel wand und oben an einer Glaskuppel endete, welches das ganze Treppenhaus hell erleuchtete.
Wir stiegen langsam die Treppe hinauf und erreichten das nächste Stockwerk, auf dem sich auch das Märtyrerzimmer befand, in dem General Aung San und die anderen Minister ermordet wurden. Hier blieben wir stehen und schauten neugierig durch die verschlossenen Glastüren in den Raum, in dem es bis auf ein Einschussloch an der gegenüberliegenden Wand jedoch nichts zu sehen gab.
Doch was wird mit dem ehemaligen Ministergebäude geschehen, wenn die Renovierungsarbeiten abgeschlossen sind? Zum Glück soll dort kein Hotel entstehen, wie es einmal geplant war.
Das ganze Areal ist zweifellos groß genug, um eine Mehrfachnutzung zu ermöglichen. Architekten und Stadtplaner schlugen 2013 vor, den südwestlichen Teil (in dem die Unabhängigkeitshelden getötet wurden) in ein Museum oder eine Gedenkstätte umzubauen, während andere Bereiche innerhalb des Komplexes für ein Kunstzentrum, ein Theater und/oder ein Gemeindezentrum genutzt werden könnten. Durch den Anbau von Restaurants und Geschäften könnte der Komplex attraktiver gestaltet werden und der Park wieder zu einem Treffpunkt für die Einheimischen werden. Eine Rückgabe an das Volk, was für eine tolle Idee.
Die Tour dauerte über zwei Stunden und ist wirklich sehr empfehlenswert. Am Ausgang gibt es auf der rechten Seite ein kleines Café, wo Sie noch etwas trinken und einen letzten Blick auf das Gebäude werfen können.